Max Bruch (1838-1920)
MOSES
Oratorium in vier Teilen

Peter Lika
Bass ~ Moses
Birgitte Christensen
Sopran ~ Der Engel des Herrn
Stefan Vinke
Tenor ~ Aaron

Kantorei Maulbronn
Russische Kammerphilharmonie St. Petersburg
Künstlerische Leitung Jürgen Budday

Die K&K Verlagsanstalt präsentiert aus der Edition Kloster Maulbronn
eine Aufnahme im Rahmen der Musica Sacra 2004 der Klosterkonzerte
vom 19. & 20. Juni 2004.












 Max Bruch (1838-1920)
MOSES
Erster Teil


1. Am Sinai


Das Volk
Jehova selbst, der Herr,
der Hochgelobte, Israels Gott,
hat erlöst sein Volk!
Der Ewige, der Einzige,
der seine Ehre keinen Andern gibt,
und aller Himmel Himmel ist sein Stuhl.

Durch Meer und Wüsten zog er vor uns her,
ging in der Wolke und im Feuer mit,
sein ganzes Heer zog sicher Tag und Nacht!
Umkommen müssen seine Feinde all',
in Staub zermalmt von seinem Arm!
Der Herr bleibt König doch in Ewigkeit!

Der Engel des Herrn

Mose, du Knecht des Herrn,
sieh, bis hierher zum Sinai half euch sein ausgestreckter Arm
aus Pharaonis Hand und Joch,
und durch die Wüste hat er euch gebracht zu sich,
an seinen heil'gen Berg!

Schon dunkelt's um die Felsen abendlich,
hoch an der Himmelsfeste reiht sich Stern an Stern;
und er, der diese Heere dort erschuf,
er, der sie kennet und mit Namen nennet,
er ist nicht fern von jedem unter euch!

Ihr lagert hin am Berge Stamm um Stamm,
fühlt seine Näh' im leisen Weh'n der Nacht,
wie man das Rauschen eines Adlerfittichs spürt.
0 selig Volk, durch Gott befreit, wohl dir!
Du gehst an seiner Hand!
Schon winkt das Ziel der Wanderzeit,
das heilige, gelobte Land!

Moses

Auf, hervor aus euren Zelten,
die dem Herrn ihr angehört,
Volk und Fürsten, Klein und Große,
ganze feiernde Gemeinde!

All überall, in öder Einsamkeit
der Weltlust schweigend Grab, die Wüstenei;
mit ew'gem Ernst ragt Horebs Urgestein,
zur Riesenburg getürmt, erhaben auf!
Doch es entfalle keinem drum das Herz,
aus heil'ger Höhe neigt sich Gott herab.

Ehre! Ehre ihm, der uns erlöset,
ew'ge Ehre nun und immer!

Langt die Harfen euch, die Psalter
und die hellen süßen Cymbeln!
Lasst Posaunenklänge wallen
mit Gewalt durch eure Chöre,
dass der Herr uns beten höre!

Lobgesang

Moses, Aaron, das Volk

Herr, Gott, du bist uns're Zuflucht für und für!
Ehe denn die Berge worden
und die Erde und das Meer geschaffen worden,
bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Der du die Menschen lässest sterben und sprichst:
Kommt wieder, Menschenkinder.
Denn tausend Jahre sind vor dir wie ein vergang'ner Tag
und wie eine Nachtwache!

Du breitest aus die Mitternacht,
die Säulen des Himmels zittern
und entsetzen sich vor deinem Grimm!
Du schaust die Erde an, so bebet sie!
Du rührst die Berge an, so rauchen sie!

Die Stimme des Herrn geht mit Macht!
Der Gott der Ehren donnert!
Die Stimme des Herrn geht herrlich!
Die Stimme des Herrn zerbricht die Zedern,
sie sprüht wie Feuerflammen!
Doch gnädig und barmherzig ist der Herr
und von großer Güte und Treue!
Herr, Gott, du bist uns're Zuflucht!

Der Engel des Herrn

Mose, so spricht der Herr:
Ihr sollt mir sein ein heilig' Volk,
und in der Wolke komm ich zu dir auf den Berg,
auf dass dies Volk die Worte höre,
die ich mit dir rede, und glaube ewig dir!

Bereite dich und mach dich hinzu ins Dunkel, wo Gott innen ist.

Wenn ihr nun seiner Stimme folgt,
so sollt vor allen Völkern ihr sein eigen sein!
Geht alle hin und heil'get euch dem Herrn,
denn bald fährt er hinab auf Sinai!
Macht ein Gehege um den Berg und hütet euch,
dass nicht zerschmett're euch sein heißer Zorn!
Der Ort, darauf ihr steht, ist heil'ges Land.

Moses

So pflege, Aaron, des Volks an meiner statt,
lehr' sie den Weg, den uns der Herr befiehlt.

Aaron

0 Moses, was der Herr befiehlt,
das woll'n wir tun!
Geh' du hinauf zu ihm, wir harren dein!
Zum Pfande geb' ich meine Seele dar,
dass ich dem Volke Hirt' und Führer bleib'
und seine Wege ohne Wandel sind;
von meinen Händen ford're du ihr Blut!
Dass wir des Herrn vergäßen, das sei fern!

Moses

Ich steige nun hinauf,
dass mir der Herr die Worte sage,
die ihr halten sollt!

Schon seht ihr Wolkendunkel um ihn her,
aus seiner Wohnung schon der Donner rollt,
Posaunen geh'n mit Macht!

Das Volk

Er steigt hinan.
Schon birgt die Wolke ihn,
kein Auge sieht ihn mehr!
Wie schauert uns!
Erzitternd seh'n wir nach!
Ich will im Dunkeln wohnen,
spricht der Herr!
Horch, der Posaune Ton!
Die Erde bebt! Beuget euch!
Ich will im Dunkeln wohnen, spricht der Herr!


2. Das goldene Kalb


Das Volk

Ach Herr, wie so lang, Herr,
ach Herr, umsonst,
Hüter, früh und spät, ängstlich harren wir!
Vierzig Tage schon Dunkel ihn verschlang,
Wolke nahm ihn auf, alle Spur verweht!

Wie hatten in Ägypten die Fülle Fleisch!
Wie schöpften wir am klaren Quell
für heiße Lippen kühle Flut!
Des Todes Furcht fällt über uns!

0, wollte Gott, wir wären hin!
Vorlängst gestorben und verwest!
Ob er uns verließ? Ob er uns verriet?
Ob die Leuchte uns ewig schon erlosch?
Mann Gottes, Mose, wo bist du?
Umsonst! Die Ode hallt es nach!

Eia! Ha! Wer ist der Herr,
des Stimme wir gehorchen müssen?
Jehova und sein Knecht, wer sind denn die?
Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile!

Auf! Und mache uns Götter,
die vor uns hergeh'n!
Denn wir wissen nicht,
was diesem Manne Mose widerfahren ist,
der uns aus Ägyptenland geführet hat.

Aaron

Israel, schicke dich!
Warum versuchest du den Herrn?
Hat sich der Herr denn Kinder auferzogen und erhöht,
dass sie nun abgefallen sind von ihm?

Das Volk

Schweig', du, geschweig'!
Steck deinen Mund in Staub!
Auf! Mach' uns Götter!
Götter, die wir seh'n!

Aaron

Wie sollt' ich ein so großes Übel tun,
und an dem Herrn sünd'gen, meinem Gott?
An Moses Statt führ' ich euch ein und aus,
0 Israel, was forderst du von mir?
Halsstarriges Geschlecht, verkehrte Art!
Weh, dass ich unter Frevlern wohnen muss!

0 wär' ich wie in meiner Jugendzeit,
da Gottes Leuchte mir zu Häupten schien,
und ich bei seinem Licht im Finstern ging,
und sein Geheimnis über meiner Hütte war!
Weh', wer ein Greu'l und schnöde ist am Herrn!
Mein Auge tränt zu Gott, ich kann's nicht tun!

Das Volk

Die Götter tun uns dies und das, schaff Rat!
Wo nicht, so stirbest du von uns'rer Hand!

Aaron

Genug! Ihr wollt's, des Eiferns bin ich satt!
Ruchlose, fahret hin,
ich weiche euch! Gebt her!
Reißt das verfluchte Go1d euch ab,
die Kettlein, Spangen und der Ringe Schmuck
von eurer eitlen Weiber Hals und Hand!
Werft's in der Hölle Tiegel nur hinein,
ich heiz' ihn euch, weh' Aaron, weh mir!

Das Volk

Gebt ihm Gold, gebt ihm Geschmeide! Her, daher!
Mit vollen Händen bringt Ägyptens letzte Beute!
Götter will er machen, bess're Götter als Jehova!

Seht, den heil'gen Stier er bildet!
Das, das sind deine Götter, Israel,
die dich aus Ägyptenland geführt!

Feste, Feste woll'n wir feiern,
Kränze tragen, eh' sie welken!
Buhlen, tanzen, schmausen, spielen,
dass man immer spüren möge,
wie wir fröhlich sind gewesen,
als Jehova wir getrotzet!

Moses

Abtrünnige, kam es dahin mit euch?
Ewige Schande Ewige Schmach!
Zerschmettern will ich sie, zerkrachen gleich,
die Zeugnistafeln, drauf sein ew'ger Finger schrieb!
Du sollst nicht and're Götter haben neben mir!

Euch aber wird er selbst zerschmettern,
des Eifer wie ein fressend Feuer ist!
Wie Rauch vom Ofen steigt's schon droben auf!
Hört ihr ihn donnern wohl, den Rachegott?
Unselige!

Das Volk

Halt, 1asst doch seh'n,
wer ist er, der so grollt?

Moses' Anhänger

Wer mag der Zucht sich des
Allmächt'gen weigern?

Aaron

Weh! Meine Sünden kommen über mich.!

Moses

Habt ihr vergessen seiner Taten,
seiner Wunder, die er euch erwiesen hat?
Er zerteilte das Meer und ließ euch hindurchgeh'n,
und stellete das Wasser wie eine Mauer.
Er leitete euch des Tages mit einer Wolke
und des Nachts mit einem hellen Feuer!

Er riss die Felsen In der Wüste auf
und tränkte euch mit Wasser die Fülle.
Er gab euch Manna, da euch hungerte,
mit Brot vom Himmel hat er euch gespeist;
doch ihr, ihr habt den Bund des Höchsten nicht gehalten,
ihr wolltet im Gesetz des Herrn nicht wandeln.

Moses und Aaron

Her, her zum Herrn, wer ihm noch angehört!

Das Volk

Poch nicht so hoch auf deine Macht, Tyrann!
Wir trotzen dir!
Vertilgt die Rotte!
Würgt die Frevler hin!











 Max Bruch (1838-1920)
MOSES
Zweiter Teil


3. Die Rückkehr der Kundschafter aus Kanaan


Chor der Kundschafter

Glück zu, es ge1ang, 0 seliger Tag!
Was Mose gebot, das geschah,
wir drangen hinein,
wir fanden den Pfad ins Land,
ins heil'ge Land,
aus dunkelnden Wäldern lugten wir vor
in quellreiche, lachende Au'n.

Und ob denn auch Enaks Söhne uns dräu'n,
verwegene Recken wild kühn,
wir trutzen dem Trotz wohl trutziger noch,
mitnichten entfall' euch der Mut!
Wie hier die Trauben vom Escolbach,
so brechen wir Palmen des Siegs!

Land des Sehnens, Land der Träume,
Land, wo gold'ne Saaten reifen!
Ja, wir durften trunk'nen Auges
dich schon durchschweifen, Kanaan!

Moses

Die ich entsandt', die Boten kehren heim!
Hört, wie ihr jauchzend Lied den Herrn erhebt!
Doch unwert seid ihr des gelobten Lands,
noch hör' ich eures Singetanzes Schrei
um euren Schanda1tar!

Und auch mein Freund,
dem ich vertraute mich,
mein Nächster und mein Bruder
ward mir fremd!

Was nur hat dir dies Volk getan,
dass du die Sünde über sie gebracht?

Aaron

Zur Höllen Pforten fahre ich dahin,
und muss die Rute seines Grimmes sehen!
Wie dürre Blätter sind wir gar verwelkt,
uns führen uns're Sünden wie ein Wind hinweg!
Tief ist der Schaden, tiefer als das Meer,
bis an den Himmel groß ist uns're Schuld,
bis an die Seele reicht das Schwert uns schon!

Hör', Mose, mich,
dass Gott dich wieder hör!
Hör', Mose, mich! Höre mich!

Aaron und das Volk

Hilf du uns Gnade finden vor dem Herrn,
gib' leben uns, da wir ja Knechte sind!
Führ' du der Waisen Sache doch,
der arme Haufe weiß und kennt ja nichts!

Raucht denn der Zorn auf ewig über uns,
ist keine Salbe und kein Arzt mehr da?
Hilf du uns Gnade finden vor dem Herrn!
Ach führ' uns heim in's Land,
wo Milch und Honig fließt.

Hört des Heerhorns tosend Dröhnen!
Amalek in rotem Kleide
bricht mit seinen Tausendschaften
rings hervor aus allen Schluchten!

Aaron

Getrost, mein Volk, verzage nicht,
heut' sühnen wir die Schuld mit Blut!
Werft hinter euch der Sünde Schmach!
Auf! Für den Herrn und Kanaan!

Mit Adlersflügeln fahrt empor!
0 Mose, kehr' zurück!
Führ' wieder uns, führ' uns zum Sieg!

Moses und das Volk

Stoßet in die Halldrommeten!
Werft Panier auf, Judas Löwen!

Moses

Wie des Bergstroms Rauschewasser
stürzt auf Amalek hernieder!

Wie die Brunst im Walde wütet
dass von Glut die Wipfel lohen
triff sie, Herr, mit Ungewitter!
Seht, mit vielen tausend Heil'gen
kommt der Herr,
des Himmels Heer schart euch
zu Häupten sich!

Der Engel des Herrn

Mose, auf! Ersteig' die Höhe,
nimm den Stab, breit' aus die Arme,
im Gebet um Sieg zu flehen,
ahn' Ermüden, ahn' Ermatten,
denn schier an ein grässlich Ringen
geht's im Blachfeld bis zum Abend,
Amalek wird keinen schonen,
Israel kämpft um sein Leben!
Aber wahrlich, ihr sollt siegen!

Der Engel des Herrn, das Volk

Denn bei euch ist Gott, der Hehre,
das Drommeten eures Königs!
Er, der stillt des Meeres Brausen,
stillt das Toben auch der Völker!

Seht! Mit viel tausend Heil'gen kommt der Herr!
Mit Flamme, Strahl und Hagel fährt's daher!
Der Herr ist mit uns und sein Ungestüm!


4. Das Land der Verheißung


Der Engel des Herrn

Hör', Moses, was der Herr beschlossen hat:
Sieh, deine Zeit ist 'kommen,
dass du sterbest und mit deinen Vätern schlafen wirst.
Geh' zum Gebirge Abarim, auf den Berg Nebo,
der im Lande Moab liegt,
besiehe dir das Land,
das ich den Kindern Israel zum Eigentum geben werde,
und stirb auf dem Berge,
wenn du hinauf gekommen bist,
und versammle dich zu deinem Volk,
gleich wie dein Bruder Aaron starb
und auf dem Berge Hor zu seinem Volk sich sammelte.

Denn du sollst das Land gegen dir sehen,
das ich den Kindern Israel gebe.
Aber du sollst nicht hineinkommen!
Bald wirst du zu Grabe kommen,
sammeln dich zum Volk der Frommen,
Garben, die dem Herrn geweiht, führt er ein zu seiner Zeit!

Tut das Land, das er euch zugeschworen,
sich vor deinem Blick noch einmal auf,
benedeite Wallfahrt, unverloren!
Ein getröstet Elend schließt dein Lauf!

Moses

Du bist der Herr, ich habe nichts zu sagen
als das eine nur: ich bin bereit!
Seh' ich's über Kanaan nur tagen,
lass mich scheiden, du weißt meine Zeit!
Gast und Pilgrim wie mein ganz Geschlechte,
und ein Schatten war ich, der da flieht;
aber immer bleiben deine Rechte,
Herr mein Gott, doch meiner Wallfahrt Lied!

Das Volk

Aus Wüstensand nun ins Gebirg',
wen hemmt der steile Höhenpfad?
Von tausend Stirnen perlt der Schweiß!
Kaum rasten wir, bald sind wir da!

Schon dämmert's auf, o Kanaan!
Im Bergesodem wittern wir's,
wie Gotteshauch und Morgenluft
weht's niederwärts von Nebo's Höh',
hinauf den letzten Stieg!
Wir sind am Ziel!

0 Kanaan, ersehntes, verheiss'nes
heil'ges Land Kanaan!
Erträumtes, viel beträntes Geschenk
aus Gottes Hand
Kanaan! Fallt auf die Knie!
Verwehen muss tausendfaches Leid!
Die Tränen übergehen von deiner Herrlichkeit, Kanaan!

Moses

Gepriesen seist du, meiner Väter Gott,
dass ich mit Leibesaugen seht dies Land,
dies gute Land! Nun fahr' ich freudig hin!
Mein Josua, nimm hin den Stab!

Du sollst nun Fürst sein über's Heer des Herrn!
Führ' du mit Caleb über'n Jordan sie dahin!
Schaut, wie das Land im Segen liegt des Herrn!
Wie fein sind deine Hütten, Israel!

Wie breiten deine Bäche sich,
die Blütengärten gottgepflanzt!
Gott öffnet seinen guten Schatz!
Schau Israel, dies Segensland!

In Frieden wohnst du ruhesam;
0 mehre dich und wachse groß,
mein Volk, viel tausend Mal!

Chor-Rezitativ

Also starb Mose, der Knecht des Herrn,
daselbst im Land der Moabiter,
nach dem Wort des Herrn,
und er begrub ihn im Tal im Land der Moabiter,
und niemand hat sein Grab erfahren
bis auf diesen heutigen Tag.

Die Klage des Volks über Moses

Die richtig vor sich gewandelt haben,
kommen zum Frieden
und ruhen in ihren Kammern,
ein Fürst und Großer fiel auf diesen Tag in Israel,
und steht hinfort nie kein Prophet
wie Moses auf im Volk, wie Moses,
der Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen!

Die richtig vor sich gewandelt haben,
ruhen in ihren Kammern.
Ein Fürst und Großer fiel auf diesen Tag in Israel!
Zwiefältig woh'n sein Geist uns bei in ew'ger Jugend immerdar!
Heil! Über'n Jordan zieh'n wir frei ins Land,
das verheißen war! Heil!

 











"Große Gesangsmusik"
Max Bruch (1838-1920)

In Köln geboren, wurzelte Max Bruch in der rheinischen Gesellschaft der Gründerzeit. Sein Tätigkeitsfeld als Musiker war vielfältig: er war Chorleiter, Dirigent, Hofkapellmeister, Musikdirektor, Musiklehrer und einer der am meisten geschätzten Komponisten seiner Zeit. Er wurde mit Titeln und Ehrungen überhäuft. Leitende Funktionen übte er in Liverpool, Berlin, Sondershausen und Breslau aus. 1891 wurde er zum Professor für Komposition an der Akademie der Künste in Berlin ernannt.

Mit seiner zupackenden und offenherzigen Art knüpfte er viele persönliche Kontakte. Enge und förderliche Beziehungen pflegte er zu Karlsruhe, wo er mit dem Intendant Eduard Devrient und dem Kapellmeister Hermann Levi am Hoftheater, sowie mit dem Dichter Joseph V. von Scheffel befreundet war, aus dessen Werk er mehrere Stücke vertonte. Hier lernte Bruch den Dichter Paul Heyse kennen, der ihn mit nordischen, russischen und hebräischen Volksweisen bekannt machte, die Bruch später in Kompositionen verwendete.

Bruch hinterließ ein umfangreiches Œuvre; allein 32 gedruckte Instrumentalwerke wie Sinfonien, Suiten, Tänze usw. Dass er mit seinen Konzerten für die Violine einen wichtigen Beitrag zur Literatur für dieses Instrument geleistet hat, steht außer Zweifel. Und doch betonte er immer wieder, dass "seine ganze Natur... auf die große Gesangsmusik" hinweise. Daher liegt der größere Teil seiner Werke vor allem in der weltlichen Vokalmusik, die er durch Solo- und Chorlieder, Opern Kantaten, Hymnen usw. bereicherte. Heroische Gestalten waren damals sehr beliebt; so sind seine fünf Oratorien dem Odysseus, Arminius, Achilleus, Moses und Gustav Adolf gewidmet.

Bruchs klassizistisch-romantischer Stil liegt auf der Linie Mendelssohn - Schumann - Brahms. Oft kraftvoller als Mendelssohn und dessen Klarheit und Melodik nachstrebend, fehlten ihm andererseits die dunklen Töne und die Melancholie von Brahms. Seine Musik zeichnet sich durch temperamentvolle Aufgeschlossenheit, melodischen Erfindungsreichtum und ein Streben nach unbedingter Sangbarkeit und Klangschönheit aus. Dies alles unterschied ihn von der neuen Musik seines Jahrhunderts (Liszt, Wagner, R. Strauss u.a.), die er strikt ablehnte. Mit dem Bemühen um Bewahrung der Tradition hat Bruch nur mit einigen seiner Werke die Zeit überlebt.


Erinnerung an Moses
Warum heute noch an Moses erinnern?

Weil die Bibel dessen Name und Schicksal untrennbar mit dem Volk Israel verbunden hat. Ohne das Volk Israel und seinen Einen, wahren Gott hätte die Geschichte Jesu und der christlichen Kirche nicht den Gang nehmen können, den sie genommen hat.

In den Fünf Büchern Mose (Tora, die jüdische "Belehrung") haben sich die Erinnerungen Israels an seine Vorzeit bis zur Landnahme niedergeschlagen. In den vier Überlieferungskreisen "Erzväter, Exodus, Sinai-Bund und Landnahme" sind die zentralen Ereignisse Exodus und Sinai-Bund mit Moses verknüpft. Die heutigen Wissenschaften können weitgehend die Bewegungen der Stämme Israels, die Orte und Zeiten, in die Welthistorie einsetzen. Zum Leben des Mannes Moses gibt es keine außerbiblischen Quellen; Herkunft, Geburt und Tod bleiben auch in der Schrift im Halbdunkel. Die Episode mit der Pharaonentochter ist eine Legende.

Moses ist kein Religionsstifter und nicht der Erretter seines Volkes. Er wird in der Bibel als der Mann Gottes, als Knecht bezeichnet, der im Auftrag seines Herrn das Volk sicher aus Ägypten durch die Wüste an den Sinai und weiter bis zum Gelobten Land führt. Er ist ein Prophet, denn er redet im Auftrag Gottes, am Sinai als Mittler des von Gott eingesetzten Bundes mit Israel. Als Prophet überbringt er die neue Bundesordnung, die Zehn Gebote. Kein Held, nur ein Knecht und Prophet, aber auch nicht weniger.

Ist die Bibellektüre der ursprüngliche Weg zur Erinnerung, so kann der Umgang mit Kunst ein erhellender sein. Moses ist das Thema unzähliger Werke der Musik, der bildenden Kunst, der Literatur. Zwei hervortretende Werke der jüngeren Zeit sind Thomas Manns Erzählung "Das Gesetz" (1943) und Marc Chagalls Ölgemälde "Exodus" (1952/66): Mehrere historische Ebenen sind miteinander dargestellt, Moses mit den Gesetzestafeln, hinter ihm als riesige Menschenmenge das Volk, wie es damals aus Ägypten kam und wie es zur Gründung des Staates Israel 1948 zieht. Darüber schwebt der gekreuzigte Jesus.

In der Taufkapelle der Evang. Stadtkirche Karlsruhe ist ein Kunstwerk von Dagmar Weissinger angebracht: "Dekalogos" besteht aus zwölf Tafeln aus Schiefer mit Eingrabungen im Rhythmus der Texte der Zehn Gebote, die zum Nachdenken über das Gesetzeswerk auffordern.


MOSES Opus 67
von Max Bruch

Im Mittelpunkt des Werkes steht also die imponierende Persönlichkeit eines der größten Volksführer der Weltgeschichte, und daneben habe ich bewegte Massen - das scheint mir für ein Oratorium auszureichen", schrieb Max Bruch in einem Brief vom 17. Dez. 1893, mit dem er seinen Freund, den angesehenen Musikwissenschaftler und Bachforscher Philipp Spitta, in den Plan eines "Moses"-Oratoriums einweihte. Das alttestamentliche Sujet von Moses und seinem Volk, schon von Händel in "Israel in Ägypten" (1739) und von Carl Ph. E. Bach in "Die Israeliten in der Wüste" (1775) oratorisch bearbeitet, stand im 19.Jh. bei den biblischen Stoffen für große Vokalwerke und Opern mit elf Vertonungen (u.a. von Kreutzer, Lachner und Rossini) mit an vorderer Stelle und hat noch 1957 in Schönbergs Oper "Moses und Aaron" eine musikalische Darstellung gefunden.

Bruchs biblisches Oratorium op.67 knüpft geschichtlich am Ende von Händels "Israel in Ägypten" an und führt vom Geschehen am Berg Sinai bis zu Moses' Tod im Anblick des verheißenen Landes Kanaan. Schon der machtvolle Eingangschor ist auf die Werkidee zugeschnitten: Moses erscheint als "der eigentliche, große Repräsentant und Bewahrer des Monotheismus" (Bruch), seine Größe liegt in der Erfüllung des Willens Jehovas' zum Bund mit Israel.

Daher ist das Werk dramatisch angelegt, ohne Erzählrahmen. Das Libretto besteht aus Bearbeitungen von Textstellen des Alten Testaments und aus Psalmen-Zitaten. Die kraftvolle Sprache der Luther-Übersetzung ist noch zu spüren und ruft den Eindruck des Archaischen hervor. Mit der Texterarbeitung war der Bruder von Ph. Spitta, Ludwig, evange1ischer Pastor und Schriftsteller, beauftragt worden. Die drei Männer rangen auch um Kleinigkeiten der Gestaltung, denn dem erfahrenen Komponisten kam es sehr auf die Klarheit des literarischen Ausdrucks an, die der Klarheit des Tonsatzes entsprechen sol1te.

Vier Episoden aus dem Leben des Moses sind in je einem Werkabschnitt dargestellt:
Am Sinai zeigt Moses als Anführer des Volkes Israel. Er wird von dem Engel (Sopran) auf den Berg Sinai (Horeb) gerufen, um dort die Zehn Gebote von Jehova zu empfangen, während sein Bruder Aaron so1ange Hüter des Volkes sein wird (2.Mos 19,1-2; 20,1-21; 24,12-18; 31,18). Der mit Psalm 90 beginnende Lobgesang der beiden Solostimmen Moses (Bass) und Aaron (Tenor) im Wechsel mit dem Volk (Chor) war für Bruch ein Kernstück des Werkes.

In Das goldene Kalb steuert die Handlung in weitem Bogen auf den tragischen Konflikt des Oratoriums zu, den Abfall des Volkes Israel von Jehova (2.Mos 32,1-24). Drei impulsiv angelegte Chorszenen schildern die Unruhe und Zweifel des Volks über das lange Ausbleiben des Moses, die rohe Forderung an Aaron, als sichtbaren Götzen ein goldenes (Stier)Kalb zu schaffen, um das dann die Abtrünnigen jauchzend tanzen, und schließlich den Zorn des wiedergekommenen Moses, der das trotzige Volk zur Ordnung ruft.

Die Rückkehr der Kundschafter aus Kanaan findet mitten in der Auseinandersetzung zwischen Moses und dem Volk statt. Die Späher, die Moses ins Gelobte Land geschickt hatte, berichten hymnisch vom "Land der Träume" (4.Mos 13,1-29), doch Moses ernüchtert: das Volk sei unwert des Gelobten Landes. Aaron und das Volk kommen zur Einsicht: "Hilf du uns Gnade finden". – Es folgt der Kampf mit den Amalekitern (2.Mos 17,8- 16).

In Das Land der Verheißung kündigt der Engel dem Moses sein nahen des Ende an. Moses führt sein Volk auf den Berg Nebo, der den Blick nach Kanaan erlaubt. Dort überträgt er Josua die Führung und segnet das Volk, ehe er stirbt. Das Rezitativ der Chorbässe mit der dunkel gesetzten Begleitung durch Posaunen und Orgel ist ein weiterer Höhepunkt des Werkes vor dem Schlusschor mit der Klage des Volkes Israel über Moses' Tod (5.Mos 32,48-52; 34,1-10).

Trotz des plötzlichen Ablebens von Philipp Spitta im April 1894 wurde das Werk fertig gestellt und Anfang 1895 in Barmen unter der Leitung des Komponisten zur Premiere gebracht. Nach einigen Aufführungen bis 1900 traf, wie fast das gesamte Werk Bruchs im 20.Jh., auch sein Opus 67 das Schicksal des Vergessenwerdens. Doch setzte nach der britischen Erstaufführung 1988 eine Renaissance dieses Oratoriums mit Aufführungen in den USA und in mehreren deutschen Städten ein.

d. w. plesch