Max Bruch (1838-1920)
MOSES
Erster Teil
1. Am Sinai
Das Volk
Jehova selbst, der Herr,
der Hochgelobte, Israels Gott,
hat erlöst sein Volk!
Der Ewige, der Einzige,
der seine Ehre keinen Andern gibt,
und aller Himmel Himmel ist sein Stuhl.
Durch Meer und Wüsten zog er vor uns her,
ging in der Wolke und im Feuer mit,
sein ganzes Heer zog sicher Tag und Nacht!
Umkommen müssen seine Feinde all',
in Staub zermalmt von seinem Arm!
Der Herr bleibt König doch in Ewigkeit!
Der Engel des Herrn
Mose, du Knecht des Herrn,
sieh, bis hierher zum Sinai half euch sein ausgestreckter Arm
aus Pharaonis Hand und Joch,
und durch die Wüste hat er euch gebracht zu sich,
an seinen heil'gen Berg!
Schon dunkelt's um die Felsen abendlich,
hoch an der Himmelsfeste reiht sich Stern an Stern;
und er, der diese Heere dort erschuf,
er, der sie kennet und mit Namen nennet,
er ist nicht fern von jedem unter euch!
Ihr lagert hin am Berge Stamm um Stamm,
fühlt seine Näh' im leisen Weh'n der Nacht,
wie man das Rauschen eines Adlerfittichs spürt.
0 selig Volk, durch Gott befreit, wohl dir!
Du gehst an seiner Hand!
Schon winkt das Ziel der Wanderzeit,
das heilige, gelobte Land!
Moses
Auf, hervor aus euren Zelten,
die dem Herrn ihr angehört,
Volk und Fürsten, Klein und Große,
ganze feiernde Gemeinde!
All überall, in öder Einsamkeit
der Weltlust schweigend Grab, die Wüstenei;
mit ew'gem Ernst ragt Horebs Urgestein,
zur Riesenburg getürmt, erhaben auf!
Doch es entfalle keinem drum das Herz,
aus heil'ger Höhe neigt sich Gott herab.
Ehre! Ehre ihm, der uns erlöset,
ew'ge Ehre nun und immer!
Langt die Harfen euch, die Psalter
und die hellen süßen Cymbeln!
Lasst Posaunenklänge wallen
mit Gewalt durch eure Chöre,
dass der Herr uns beten höre!
Lobgesang
Moses, Aaron, das Volk
Herr, Gott, du bist uns're Zuflucht für und für!
Ehe denn die Berge worden
und die Erde und das Meer geschaffen worden,
bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Der du die Menschen lässest sterben und sprichst:
Kommt wieder, Menschenkinder.
Denn tausend Jahre sind vor dir wie ein vergang'ner Tag
und wie eine Nachtwache!
Du breitest aus die Mitternacht,
die Säulen des Himmels zittern
und entsetzen sich vor deinem Grimm!
Du schaust die Erde an, so bebet sie!
Du rührst die Berge an, so rauchen sie!
Die Stimme des Herrn geht mit Macht!
Der Gott der Ehren donnert!
Die Stimme des Herrn geht herrlich!
Die Stimme des Herrn zerbricht die Zedern,
sie sprüht wie Feuerflammen!
Doch gnädig und barmherzig ist der Herr
und von großer Güte und Treue!
Herr, Gott, du bist uns're Zuflucht!
Der Engel des Herrn
Mose, so spricht der Herr:
Ihr sollt mir sein ein heilig' Volk,
und in der Wolke komm ich zu dir auf den Berg,
auf dass dies Volk die Worte höre,
die ich mit dir rede, und glaube ewig dir!
Bereite dich und mach dich hinzu ins Dunkel, wo Gott innen ist.
Wenn ihr nun seiner Stimme folgt,
so sollt vor allen Völkern ihr sein eigen sein!
Geht alle hin und heil'get euch dem Herrn,
denn bald fährt er hinab auf Sinai!
Macht ein Gehege um den Berg und hütet euch,
dass nicht zerschmett're euch sein heißer Zorn!
Der Ort, darauf ihr steht, ist heil'ges Land.
Moses
So pflege, Aaron, des Volks an meiner statt,
lehr' sie den Weg, den uns der Herr befiehlt.
Aaron
0 Moses, was der Herr befiehlt,
das woll'n wir tun!
Geh' du hinauf zu ihm, wir harren dein!
Zum Pfande geb' ich meine Seele dar,
dass ich dem Volke Hirt' und Führer bleib'
und seine Wege ohne Wandel sind;
von meinen Händen ford're du ihr Blut!
Dass wir des Herrn vergäßen, das sei fern!
Moses
Ich steige nun hinauf,
dass mir der Herr die Worte sage,
die ihr halten sollt!
Schon seht ihr Wolkendunkel um ihn her,
aus seiner Wohnung schon der Donner rollt,
Posaunen geh'n mit Macht!
Das Volk
Er steigt hinan.
Schon birgt die Wolke ihn,
kein Auge sieht ihn mehr!
Wie schauert uns!
Erzitternd seh'n wir nach!
Ich will im Dunkeln wohnen,
spricht der Herr!
Horch, der Posaune Ton!
Die Erde bebt! Beuget euch!
Ich will im Dunkeln wohnen, spricht der Herr!
2. Das goldene Kalb
Das Volk
Ach Herr, wie so lang, Herr,
ach Herr, umsonst,
Hüter, früh und spät, ängstlich harren wir!
Vierzig Tage schon Dunkel ihn verschlang,
Wolke nahm ihn auf, alle Spur verweht!
Wie hatten in Ägypten die Fülle Fleisch!
Wie schöpften wir am klaren Quell
für heiße Lippen kühle Flut!
Des Todes Furcht fällt über uns!
0, wollte Gott, wir wären hin!
Vorlängst gestorben und verwest!
Ob er uns verließ? Ob er uns verriet?
Ob die Leuchte uns ewig schon erlosch?
Mann Gottes, Mose, wo bist du?
Umsonst! Die Ode hallt es nach!
Eia! Ha! Wer ist der Herr,
des Stimme wir gehorchen müssen?
Jehova und sein Knecht, wer sind denn die?
Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile!
Auf! Und mache uns Götter,
die vor uns hergeh'n!
Denn wir wissen nicht,
was diesem Manne Mose widerfahren ist,
der uns aus Ägyptenland geführet hat.
Aaron
Israel, schicke dich!
Warum versuchest du den Herrn?
Hat sich der Herr denn Kinder auferzogen und erhöht,
dass sie nun abgefallen sind von ihm?
Das Volk
Schweig', du, geschweig'!
Steck deinen Mund in Staub!
Auf! Mach' uns Götter!
Götter, die wir seh'n!
Aaron
Wie sollt' ich ein so großes Übel tun,
und an dem Herrn sünd'gen, meinem Gott?
An Moses Statt führ' ich euch ein und aus,
0 Israel, was forderst du von mir?
Halsstarriges Geschlecht, verkehrte Art!
Weh, dass ich unter Frevlern wohnen muss!
0 wär' ich wie in meiner Jugendzeit,
da Gottes Leuchte mir zu Häupten schien,
und ich bei seinem Licht im Finstern ging,
und sein Geheimnis über meiner Hütte war!
Weh', wer ein Greu'l und schnöde ist am Herrn!
Mein Auge tränt zu Gott, ich kann's nicht tun!
Das Volk
Die Götter tun uns dies und das, schaff Rat!
Wo nicht, so stirbest du von uns'rer Hand!
Aaron
Genug! Ihr wollt's, des Eiferns bin ich satt!
Ruchlose, fahret hin,
ich weiche euch! Gebt her!
Reißt das verfluchte Go1d euch ab,
die Kettlein, Spangen und der Ringe Schmuck
von eurer eitlen Weiber Hals und Hand!
Werft's in der Hölle Tiegel nur hinein,
ich heiz' ihn euch, weh' Aaron, weh mir!
Das Volk
Gebt ihm Gold, gebt ihm Geschmeide! Her, daher!
Mit vollen Händen bringt Ägyptens letzte Beute!
Götter will er machen, bess're Götter als Jehova!
Seht, den heil'gen Stier er bildet!
Das, das sind deine Götter, Israel,
die dich aus Ägyptenland geführt!
Feste, Feste woll'n wir feiern,
Kränze tragen, eh' sie welken!
Buhlen, tanzen, schmausen, spielen,
dass man immer spüren möge,
wie wir fröhlich sind gewesen,
als Jehova wir getrotzet!
Moses
Abtrünnige, kam es dahin mit euch?
Ewige Schande Ewige Schmach!
Zerschmettern will ich sie, zerkrachen gleich,
die Zeugnistafeln, drauf sein ew'ger Finger schrieb!
Du sollst nicht and're Götter haben neben mir!
Euch aber wird er selbst zerschmettern,
des Eifer wie ein fressend Feuer ist!
Wie Rauch vom Ofen steigt's schon droben auf!
Hört ihr ihn donnern wohl, den Rachegott?
Unselige!
Das Volk
Halt, 1asst doch seh'n,
wer ist er, der so grollt?
Moses' Anhänger
Wer mag der Zucht sich des
Allmächt'gen weigern?
Aaron
Weh! Meine Sünden kommen über mich.!
Moses
Habt ihr vergessen seiner Taten,
seiner Wunder, die er euch erwiesen hat?
Er zerteilte das Meer und ließ euch hindurchgeh'n,
und stellete das Wasser wie eine Mauer.
Er leitete euch des Tages mit einer Wolke
und des Nachts mit einem hellen Feuer!
Er riss die Felsen In der Wüste auf
und tränkte euch mit Wasser die Fülle.
Er gab euch Manna, da euch hungerte,
mit Brot vom Himmel hat er euch gespeist;
doch ihr, ihr habt den Bund des Höchsten nicht gehalten,
ihr wolltet im Gesetz des Herrn nicht wandeln.
Moses und Aaron
Her, her zum Herrn, wer ihm noch angehört!
Das Volk
Poch nicht so hoch auf deine Macht, Tyrann!
Wir trotzen dir!
Vertilgt die Rotte!
Würgt die Frevler hin!
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